Die FOCUS-Kolumne von Jan Fleischhauer
Sex-SMS an den „Bild“-Chef: Auch im Fall Reichelt gibt es nicht nur Gut und BöseSamstag, 29.04.2023, 08:58
In der MeToo-Berichterstattung bevorzugen viele Medien Geschichten ohne Grautöne: hier das Opfer, dort der Täter. Die Wirklichkeit ist unübersichtlicher, wie SMS-Nachrichten im Fall Julian Reichelt zeigen.(...)
Ein Verleger, dem vertrauliche Informationen über Springer angeboten werden, hat nichts Besseres zu tun, als den Springer-Chef Matthias Döpfner darüber umgehend zu informieren, worauf der den Tipgeber, seinen ehemaligen Chefredakteur Julian Reichelt, auf Millionen verklagt. Das ist tolles Theater, auch wenn es natürlich den unschönen Nebeneffekt hat, dass sich potentielle Informanten in Zukunft gut überlegen werden, ob sie wirklich auf den Informantenschutz vertrauen sollen, den Presseorgane ins Schaufenster stellen.
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Auch im Fall Reichelt gibt es Neues. Wer die Chats liest, die jetzt aufgetaucht sind und die das Liebesgeplänkel zwischen Reichelt und einer seiner Anklägerinnen zeigen, sieht, dass die Wirklichkeit nicht so eindeutig ist, wie Journalisten sie mitunter gerne hätten. Aber genau das macht ja eine gute Serie aus: Der Bösewicht ist nicht so böse, wie es zunächst erschien – die Frau, die uns in der ersten Folge als Heldin begegnete, nicht ganz so strahlend und edel.
Herzlicher Gruß zum Wochenende
Ihr
Jan Fleischhauer
https://www.focus.de/politik/deutschlan ... RZER_KANALDie FOCUS-Kolumne von Jan Fleischhauer
Sex-SMS an den „Bild“-Chef: Auch im Fall Reichelt gibt es nicht nur Gut und BöseSamstag, 29.04.2023, 08:58
In der MeToo-Berichterstattung bevorzugen viele Medien Geschichten ohne Grautöne: hier das Opfer, dort der Täter. Die Wirklichkeit ist unübersichtlicher, wie SMS-Nachrichten im Fall Julian Reichelt zeigen.Eine Geschichte aus dem Leben. Ein Mann und eine Frau treffen sich in Wien. Beide arbeiten bei derselben Firma, beide sind beruflich in der Stadt. Es entspinnt sich per SMS eine Konversation, die über den Tag anhält und erst in den frühen Morgenstunden endet.
13:20 Mann: Du bist auch in Wien?
13:34 Frau: Ja, Opernball
13:34 Mann: Ich auch nachher
13:35 Frau: Treffen?
13:36 Mann: Yes, bin erst mit Freunden essen. Danach Drink?
13:36 Frau: Ja, bin auch mit einer Freundin unterwegs. Sag Bescheid.
18:44 Frau: Sicher, dass Du später Zeit hast?
18:59 Mann: Nichts ist sicher außer Allah. Aber ziemlich. Wir können ja auch alle erst mal zusammen was trinken.
19:10 Frau: Machen wir so. Bin ab halb zehn im Schwarzen Kamel
Ein SMS-Verlauf, wie er so oder ähnlich jeden Tag tausendfach vorkommt. Einerseits. Andererseits auch wieder nicht, denn bei den beiden Personen, die am Ende dieses Tages ein Hotelbett teilen werden, handelt es sich um zwei Menschen, deren Beziehung erst die Compliance-Abteilung des Springer-Verlags, dann die Rechtsanwaltskanzlei Freshfields und kurz darauf alle großen Medien, von der „New York Times“ bis zum „Münchner Merkur“, beschäftigen wird.
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