Spektrum.de - SARS-COV-2: "Vielleicht wird es keinen Corona-Impfstoff geben""[...]
US-Präsident Donald Trump verkündete Mitte Mai 2020 einen ambitionierten Zeitplan: Seine »Operation Warp Speed« soll bis zum Jahresende einen zugelassenen Impfstoff gegen Covid-19 auf den Markt bringen.
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Die Produktion im US-amerikanischen Portsmouth soll bereits im Juli 2020 beginnen. Dabei nimmt man in Kauf, dass die Zulassung noch weit entfernt ist und man vielleicht eine ganze Charge wieder vernichten muss.
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Frühestens Anfang 2021, schätzen Impfstoff-Fachleute meist, sei mit einem Impfstoff gegen Covid-19 rechnen. Aber auch das wäre noch atemberaubend schnell im Vergleich zu klassischen Impfstoffen. Bis vor ein paar Jahren hätte eine solche Entwicklung noch 15 bis 20 Jahre gedauert.
»Es gibt keine Garantie«, sagt Rolf Hömke, Forschungssprecher des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (vfa). Doch es gäbe einige Punkte, die ihn optimistisch stimmten. »Nicht nur die bloße Anzahl, auch die Vielfalt der Ansätze ist beeindruckend«, erklärt er. Mindestens acht unterschiedliche Arten von Impfstoffen werden derzeit entwickelt. Das erhöhe die Chancen auf Erfolg. Außerdem könne man aus Impfstoffprojekten gegen verwandte Coronaviren viel lernen.
Der australische Immunologe Ian Frazer bremste allerdings zuletzt die Erwartungen: »Wir müssen auch erkennen, dass es nicht immer möglich ist, einen Impfstoff zu bekommen, nur weil wir einen wollen«, sagte er gegenüber dem australischen TV-Sender »7NEWS«. Könnte es sein, dass am Ende alle Projekte scheitern?
Viele Ansätze, aber keine GarantieSeit Sars-CoV-2 Ende 2019 in China auftrat und sich weltweit verbreitet hat, arbeiten zahlreiche internationale Forscherteams unter Hochdruck an Vakzinen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt derzeit 133 Impfstoffprojekte (Stand 2.6.2020). Dazu kommen laut dem vfa mindestens 14 weitere Projekte, die dort noch nicht verzeichnet wurden.
Sobald chinesische Forscher das Genom des Virus veröffentlicht hatten, legten viele Forschergruppen los: Die ersten Erbgut basierten Vakzine waren binnen weniger Wochen fertig designed. Das habe es noch nie gegeben, sagt Hömke. Die künstlich hergestellten DNA- oder RNA-Moleküle enthalten den Bauplan für bestimmte Sars-CoV-2 Proteine und sollen unsere Zellen dazu bringen, diese herzustellen. Das wiederum soll eine Immunantwort im Körper hervorrufen, die uns vor einer Infektion durch das Coronavirus schützt. Doch bislang wurde noch kein einziger Impfstoff zugelassen, der auf DNA oder RNA beruht.
Das liegt an einer grundsätzlichen Hürde für Impfstoffe. Da man mit diesen Substanzen womöglich Millionen gesunde Menschen behandeln wird, müssen Wirkung und mögliche Nebenwirkungen besonders genau untersucht werden. Nicht zuletzt gibt es bei Sars-Cov-2 möglicherweise eine gefährliche Komplikation, die auch für einen Impfstoff ein Problem sein könnte.
Unser Immunsystem bildet nicht nur Antikörper, die bestimmte Proteine an der Oberfläche des Virus blockieren, sondern auch solche, die nur lose daran binden. Diese können eine Infektion sogar verstärken. Denn passen die Antikörper nicht genau, so können die aufgenommenen Viren jene Immunzellen befallen, die mit Antikörpern dekorierte Viren aufnehmen und zerstören. Statt die Viren zu töten, werden sie also selbst zu Opfern – das Virus kann sich in ihnen vermehren. Ein solches Phänomen, das als »antibody dependent enhancement«, kurz ADE, bezeichnet wird, haben Virologen bereits mehrfach beobachtet, darunter auch 2003 beim ersten Sars-Coronavirus.Wegen solcher Risiken ist die Entwicklung eines Impfstoffs ein langwieriger, aufwändiger Prozess. Bevor er an Menschen getestet werden darf, muss er sich in Tieren als wirksam und gut verträglich erweisen. Dann folgen klinische Studien, die wiederum in mehrere Etappen – man spricht von Phase I bis III – gegliedert sind (siehe Infografik »Stufen der Impfstoffentwicklung«). Jede davon werde gebraucht, schließlich hätte niemand etwas davon, wenn ein Impfstoff zwar immunisiere, aber Menschen in Gefahr bringe, sagt Hömke.
Gegen manche Viren lässt sich kein Impfstoff findenDoch es gibt ein paar Krankheitserreger, an denen sich Impfstoffentwickler die Zähne ausbeißen. Beispielsweise das HI-Virus, das die Immunschwächekrankheit Aids verursacht. Seit man den Krankheitserreger im Jahr 1984 identifizierte, haben Forscher zahlreiche Anläufe unternommen, einen Impfstoff zu entwickeln – bislang sind alle gescheitert. Erst Anfang 2020 musste eine groß angelegte Phase-III-Studie in Südafrika abgebrochen werden, weil sich der Impfstoffkandidat als unwirksam herausstellte.
Ähnlich ernüchternd verläuft die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Hepatitis C. Jedes Jahr infizieren sich zwischen 1,5 und 2 Millionen Menschen mit dem Hepatitis-C-Virus, das eine chronische Entzündung der Leber hervorrufen und zu Leberzirrhose und -krebs führen kann.
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Könnte es sein, dass das neue Coronavirus den Entwicklern ähnliche Probleme bereitet wie HIV oder HCV? »Die bisherigen Studienergebnisse sprechen dagegen«, sagt Pietschmann. So entwickelten Rhesusaffen, die mit einer Vakzine aus abgetöteten Sars-CoV-2-Viren behandelt worden waren, eine stabile Immunantwort und ließen sich anschließend nicht mehr durch das Coronavirus infizieren. Praktisch zeitgleich startete der chinesische Hersteller Sinovac erste klinische Studien mit dem Totimpfstoff.
»Im Gegensatz zu HIV und HCV verursacht Sars-CoV-2 keine lebenslange, sondern eine akute Infektion, die bei den meisten nach milden Symptomen ausheilt«, erklärt Pietschmann weiter. Innerhalb weniger Tage entstehe eine schützende Immunität, die das Virus kontrolliert. Das mache es wahrscheinlicher, dass es gelingt, einen Impfstoff zu entwickeln, sagt der Virologe. Zwar sei das keine Garantie. Aber er ist optimistisch, dass unter den vielen Ansätzen, die derzeit getestet werden, erfolgreiche Kandidaten sind.
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Das Virus kann sich verändernSars-Cov-2 hat auch ein weiteres Problem nicht, das die Impfstoffentwickler bei HIV und HCV plagt: Beide Viren sind sehr variabel. Das heißt, innerhalb der Bevölkerung kursieren zahlreiche Versionen der Erreger, die sich darüber hinaus ständig weiter verändern. Alle Virustypen mit einem Impfstoff abzudecken, ist quasi unmöglich. Beim neuen Coronavirus ist das anders: Seit es erstmals in China auftrat, hat es sich zwar bereits verändert. Die Rate sei jedoch keineswegs mit HIV oder HCV vergleichbar, sagt Weber. »In der rezeptorbindenden Domäne des Spike-Proteins haben wir bisher so gut wie keine Veränderungen festgestellt«, ergänzt der Virologe. Das ist der Bereich des Virus, den die meisten Impfstoffkandidaten imitieren und dadurch eine Immunantwort provozieren.
»Bezüglich ihrer Flexibilität sind Coronaviren aber nicht zu unterschätzen«, sagt Virologe Weber. Sie seien extrem gut darin, ihr Erbgut umzuarrangieren. Dabei tauschen sie Bereiche ihrer RNA mit anderen Coronaviren aus. Etwas Ähnliches tun Grippeviren auch. Ihr Erbgut besteht aus mehreren Einzelteilen, die sie beliebig untereinander tauschen können – deshalb brauchen wir jedes Jahr einen neuen Impfstoff. Coronaviren dagegen haben kein segmentiertes Genom. Veränderungen in derselben Größenordnung seien deswegen für diese Viren vorerst nicht zu erwarten, schließlich sei ihr genetisches Repertoire längst nicht so groß, so Weber. Weil ihr Genom nicht in mehreren Teilen, sondern »am Stück« vorliegt, ist es für sie zudem schwieriger, einzelne Gene – etwa das für das Oberflächenprotein – miteinander auszutauschen. Es könne im Lauf der Zeit aber durchaus zu Veränderungen kommen, die eine Anpassung der Vakzine erfordern, sagt Weber.
Dass die Impfstoffe, die heute entwickelt werden, mit der Zeit an Wirksamkeit verlieren, sei nicht auszuschließen, sagt auch der Virologe Florian Klein von der Universitätsklinik Köln. Das könne zum einen an Veränderungen im Viruserbgut liegen. Zum anderen könne sich die durch den Impfstoff aufgebaute Immunantwort nach und nach abschwächen. Beides kommt auch bei zugelassenen Vakzinen gegen andere Erreger vor. Es könnte also sein, dass wir uns in unserem Leben mehrmals gegen Covid-19 impfen lassen müssten.
Zudem ist es möglich, dass die Impfstoffe nicht alle, sondern nur einen Teil der Geimpften schützen oder lediglich die Krankheitssymptome abmildern. Fachleute warnen schon seit Jahren davor, dass es immer schwieriger wird, Impfstoffe zu finden, die jegliche Ansteckung und Weitergabe verhindern. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich der Selektionsdruck auf die Krankheitserreger durch vorhandene Impfungen verändert – sie könnten ihnen entkommen und sogar gefährlicher werden."
Sehr ausführlich dazu die Quelle:https://www.spektrum.de/news/vielleicht ... tent=heuteKommentar
Ein lesenswerter Artikel, nicht nur zum aktuellen Stand, sondern auch mit wissenswerten Hintergrundinformationen.