Das P-Konto - Segen oder Fluch?

Wie dem Einleitungstext unserer Seite zu entnehmen ist, sind die wesentlichen Aussagen des Artikel 3 GG für uns absolut unverhandelbar. Dieses Unterforum betrifft also unser Kernprogramm.

Das P-Konto - Segen oder Fluch?

Beitragvon Ricarda » Di 24. Mai 2011, 12:16

Das P-Konto – eingeführt mit dem vorgeblichen Zweck, bei Schulden die Verfügbarkeit des pfändungsfreien Betrags zu gewährleisten, egal, woher das Geld kommt und ohne besonderen Antrag – war eigentlich eine nette Idee. Die gegenwärtige Praxis, und die Probleme, die man am grünen Tisch mal wieder nicht gesehen hat, führen in manchen Fällen faktisch zur Rechtsverweigerung, oder kommen dem zumindest sehr nahe.

Folgender Fall: im Januar wird ein Antrag auf Leistungen nach SGB II gestellt. Das Jobcenter ist überlastet; deshalb geht die Zahlung für die Zeit ab Januar erst Anfang Mai auf dem Konto des Anspruchsberechtigten ein. Der hat Schulden beim Finanzamt und bei einer Krankenkasse, beides Einrichtungen, die selbst vollstrecken. Die sind aber eigentlich nicht prädestiniert darüber zu entscheiden, wie es sich auszuwirken hat, dass eigentlich pfändungsfreie Zahlungen kumuliert so spät eingehen,dass sie deutlich oberhalb des Pfändungsfreibetrags liegen.

Die Bank darf von einem P-Konto nicht mehr auszahlen als den pfändungsfreien Betrag bzw. ein Guthaben, dass ggfs. vom vorigen Monat mitgebracht wurde. Wäre es kein P-Konto, könnten die Leistungen des Jobcenters innerhalb von 14 Tagen in voller Höhe ausgezahlt werden. Es könnten Mietrückstände ausgeglichen und Beträge zurückgezahlt werden, die man in den letzten Monaten leihen musste, um nicht zu verhungern.

Die ZPO liefert eine recht große Auswahl an Vollstreckungsschutzmöglichkeiten,leider nichts, was für diesen Fall so richtig passt.

In Betracht kommt zunächst ein Antrag nach § 850 k Abs. 4 ZPO i.V.m. § 54, Abs. 2 SGB I.

Nach § 850 k Abs. 4 ZPO ist das Vollstreckungsgericht bei einem P-Konto befugt, einen „einen von den Absätzen 1, 2 Satz 1 Nr. 1 und Absatz 3 abweichenden pfändungsfreien Betrag festzusetzen. Im konkreten Fall müsste der Betrag also so angesetzt werden, dass er die Zahlungseingänge wirtschaftlich den Monaten zuordnet, für die sie bestimmt sind. Es muss also der gesamte eingegangene Betrag verfügbar gemacht werden.

Nach § 54 Abs. 2 SGB I können „Ansprüche auf einmalige Geldleistungen …. nur gepfändet werden, soweit nach den Umständen des Falles, insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs sowie der Höhe und der Zweckbestimmung der Geldleistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht.“

Es entspricht nicht der Billigkeit, wenn wegen monatelanger Bearbeitungszeiten das Geld für Miete und Lebensunterhalt nach Eingang nicht verwendet werden darf, um die für diese früheren Zeiträume bestimmten Zahlungen zu leisten.

Hilfsweise ließe sich dann noch an § 765 a ZPO denken. Es würde wegen der konkreten Umstände eine nicht mit den guten Sitten vereinbarende Härte darstellen, wenn das für Miete und Lebensunterhalt bestimmte Geld aufgrund der verzögerten Bearbeitung eines Antrags nicht benutzt werden darf, um die in den Monaten der Bearbeitung angefallenen Rückstände zu tilgen. Wäre der Antrag sofort bearbeitet worden oder ein Abschlag in Höhe der monatlich zu erwartenden Zahlungen erfolgt, so unterläge es keinem Zweifel, dass das Geld in den jeweiligen Monaten nicht pfändbar gewesen wäre. Es darf sich nicht zum Nachteil eines Schuldners auswirken, dass aufgrund der zahlreichen Antragsteller die Bearbeitung von Leistungsanträgen mehrere Monate in Anspruch nimmt.

Das Ziel ist klar: das Vollstreckungsgericht – die reguläre Rechtsprechung – soll sich mit der Frage auseinandersetzen, ob nach verzögerter Bearbeitung verspätet eingehende Leistungen des Jobcenters insgesamt unpfändbar sind, obwohl – unter Berücksichtigung des berüchtigten Zuflussprinzips – hier auf einmal ein wesentlich höherer Betrag zufließt. Benötigt würde also eine gerichtliche Entscheidung mit der Folge einer sich verfestigenden Rechtsprechung – und der Hoffnung auf eine gesetzliche Nachbesserung – die besagt, dass Zahlungen nach verzögerter Bearbeitung auf dem P-Konto innerhalb von 14 Tagen genauso verfügbar sind wie die entsprechenden Eingänge auf einem normalen Girokonto.

Die Argumente sind vermutlich für die meisten nachvollziehbar. Aber jetzt kommt das eigentliche Problem: Wir brauchen nämlich einen Anspruchsgegner, damit das reguläre Vollstreckungsgericht entscheiden kann. Das kann nicht die Bank sein, die nicht auszahlt, denn die handelt nach der gegenwärtigen Gesetzeslage rechtmäßig, wenn sie die Auszahlung oberhalb des pfändungsfreien Betrags ohne Freigabe nicht zulässt. Kommen noch die Anspruchsgegner in Betracht, aber die vollstrecken ja selbst und können als Gegner im normalen Vollstreckungsverfahren vor dem Zivilgericht nicht in Anspruch genommen werden.

Bleibt die Möglichkeit, den Gläubigern klarzumachen - oder es zu versuchen-, dass es unfair wäre, die Nachzahlung zu pfänden. Vielleicht sind sie ja so nett und sehen das ein. Sie können aber eigentlich nicht die grundsätzliche Frage klären, ob es rechtens ist, Nachzahlungen nach verzögerter Antragsbearbeitung ganz oder teilweise zu pfänden.

Und was wäre, wenn wir einen Gläubiger hätten, der nicht selbst vollstreckt? Hätten wir dann eine Chance, vom Vollstreckungsgericht eine grundsätzliche Entscheidung zu bekommen, wonach die Nachzahlung nicht pfändbar ist, oder gilt das dann nur gegenüber diesem einen Gläubiger, während die anderen immer noch vollstrecken können? Sollen wir von Vollstreckungsabteilungen bei Finanzamt und Krankenkassen wirklich erwarten – oder erwarten können - , dass sie sich mit grundsätzlichen Fragen der Gerechtigkeit und Fairness befassen, nachdem das Zuflussprinzip schon lange höchstrichterlich abgesegnet ist?

Tja, da gibt es verschiedene Auffassungen. Nichts Genaues weiß man nicht, sozusagen. Im Rechtspflegerforum werden einiger dieser Fragen, z.B. die Notwendigkeit eines Antragsgegners - durchaus kontrovers diskutiert. Viele Rechtspfleger scheinen durch die Gesetzeslage also genauso verunsichert zu sein wie unsereins. Bloß frage ich mich eben: was können wir dagegen tun?

Für ein paar Vorschläge wäre ich dankbar.
Ricarda
 

Re: Das P-Konto - Segen oder Fluch?

Beitragvon AlexRE » Di 24. Mai 2011, 12:47

Folgender Fall: im Januar wird ein Antrag auf Leistungen nach SGB II gestellt. Das Jobcenter ist überlastet; deshalb geht die Zahlung für die Zeit ab Januar erst Anfang Mai auf dem Konto des Anspruchsberechtigten ein. Der hat Schulden beim Finanzamt und bei einer Krankenkasse, beides Einrichtungen, die selbst vollstrecken. Die sind aber eigentlich nicht prädestiniert darüber zu entscheiden, wie es sich auszuwirken hat, dass eigentlich pfändungsfreie Zahlungen kumuliert so spät eingehen,dass sie deutlich oberhalb des Pfändungsfreibetrags liegen.


Wenn der Bedürftige in den vier Monaten noch nicht verhungert ist, wird in den meisten Fällen nach dieser Zeit eine Räumungsklage des Vermieters anhängig sein. Da wegen der neuen "Errungenschaft" des P-Kontos die Miete nun immer noch nicht nachgezahlt werden kann, ist Obdachlosigkeit das Endergebnis.

Das haben sie mal wieder toll hingekriegt. Das kommt davon, wenn Politiker Gesetzesgestaltungen nicht ausschließlich von ihren Experten durchführen lassen, sondern auf Einflüsterungen von Lobbyisten hören. Bei diesem Murks haben todsicher Banker mitgewirkt.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Das P-Konto - Segen oder Fluch?

Beitragvon Staber » Mi 25. Mai 2011, 19:16

P-Konto hin oder her. Wer den Staat an der Hacke hat, der ist bescheiden dran. Auch bei einem P-Konto wird das Konto erst einmal geschlossen, bzw. Gelder blockiert. Und das alles aus reiner Niedertracht der Behörde. Es wird zwar nach ein paar Wochen wieder freigeschaltet, aber der Ärger und die Repressalien sind doch schon immens. :evil:

MfG staber
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