BGH zur Sicherungsverwahrung

Hier wird das Problem des zunehmend mangelhaften Schutzes der Bürger vor Gewalttaten und dessen verfassungsrechtliche Relevanz erörtert. (Artikel 1 Abs. 1 Satz 2 GG)

BGH zur Sicherungsverwahrung

Beitragvon AlexRE » Di 9. Mär 2010, 23:10

Mit den grundsätzlichen Fragen zum Thema "Sicherungsverwahrung" sind die GG - Aktivierer schon im Jahre 2008 auf die Foren gegangen und haben nur Irritationen hervorgerufen, sind als rechtsradikal diffamiert worden usw.

Jetzt beschäftigt das auf einmal alle deutschen Obergerichte und den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Wir waren einfach zu früh dran, die gesellschaftliche Diskussion muss im Rahmen der jetzt laufenden Prozesse erst einmal in Gang kommen:

Eine fragwürdige Entscheidung

(...)

Der Bundesgerichtshof hat heute ein aufsehenerregendes Urteil zur nachträglichen Sicherungsverwahrung gefällt. Sie wurde erstmals bestätigt bei einem nach Jugendstrafrecht Verurteilten. Alle schwerwiegenden Bedenken verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Art gegen das zugrunde liegende Gesetz von 2008 hat das Karlsruher Gericht beiseite geschoben.

(...)


Quelle: zeit.de
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Re: BGH zur Sicherungsverwahrung

Beitragvon Uel » So 16. Jan 2011, 14:10

Santo schrieb 15.01.2011 16:58: Unfassbare Schadenersatzpraxis im Zusammenhang mit entlassenen Schwerstkriminellen
Wie sich aus der heutigen Tagespresse ergibt, findet anscheinend eine für einen Rechtsstaat untragbare Schadenersatzpraxis im Zusammenhang mit entlassenen, bzw. nach dem Urteil des EuGHMR noch zu entlassenden Schwerstkriminellen statt.

Während man die Entlassung von Schwerstkriminellen, welche gutachterlich ein weiterhin extremes Risiko für die Gesellschaft darstellen, zwar nicht von faktisch, doch nachvollziehbar juristisch formal korrektem Vorgehen sprechen kann, da diese ihre Strafe verbüßt haben, könnte einen angesichts der damit verbundenen Schadenersatzpraxis die blanke Wut ereilen...

Anscheinend wird entlassenen Schwerstkriminellen eine höhere Schadenersatzsumme zugestanden als es die Opfer der von diesen begangenen Straftaten erhalten.
Nur zur Erinnerung:
Opfer von sexuellem Missbrauch leiden oft ihr gesamtes weiteres Leben unter den Folgen der traumatischen Erlebnisse, währenddessen sich die Kriminellen nach Verbüßen der zumeist faktisch im Verhältnis zum Leid der Opfer viel zu geringen Strafen ein vergleichsweise schönes, sorgenfreies Leben machen können...

Diese Praxis, die Korrektheit der Angaben unterstellt, ist mit Verlaub eines echten Rechtsstaats absolut unwürdig.
Ergo mehren sich tagtäglich die Anzeichen, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland faktisch schon kaum noch um einen Rechtsstaat handelt, jedenfalls dann, wenn ein Rechtsstaat definitorisch mehr sein soll als ein Staatsgebilde mit formalrechtlicher Ordnung... Selbst wenn die Entscheidung hier aus Straßburg kommt und bezüglich der Höhe des zugesprochenen Schadensersatzes absolut zu missbilligen ist, so sind letztlich die deutschen Politiker verantwortlich für die desolate Rechtslage...

"Vater der missbrauchten Stephanie klagt an Die Opfer leiden ewig, die Täter kriegen Geld
15.01.2011 - 00:22 UHR Es berichten Georg Gomolka, Oliver Grothmann und Miriam Krekel

EU-Gerichtshof Straßburg – Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sorgt in Deutschland für Empörung.

Die Straßburger Richter sprachen drei mehrfach vorbestraften und als gefährlich eingestuften Sexualstraftätern wegen nachträglich verhängter Sicherungsverwahrung insgesamt 125 000 Euro Haftentschädigung zu – auf Steuerzahlerkosten! Zudem müssen die Männer freigelassen werden.

Die Praxis in Deutschland verstoße gegen die Menschenrechte, entschied der Gerichtshof.

Aber was ist mit den Opfern der Straftäter? In BILD sprechen Betroffene und Experten.

• Joachim R.s (54) Tochter Stephanie wurde im Jahr 2006 in Dresden von Sextäter Mario M. gefangenen gehalten, immer wieder vergewaltigt.

In BILD klagt der Vater an: „Es ist eine Schweinerei, dass diese Straftäter jetzt eine Entschädigung erhalten. Wir müssen für Geld betteln und kämpfen. Es geht uns hundsmiserabel bei solchen Meldungen. Wie Betroffene auf solche Gerichtsentscheidungen reagieren, interessiert offenbar niemanden.“

Wie es Betroffenen jetzt mit dem Urteil geht, weiß auch Helmut Rüster von der Opferschutzorganisation „Weisser Ring“:
„Viele Menschen fragen sich, ob aus Straßburg die falschen Signale gesetzt werden. Es sind gefährliche Schwerverbrecher und trotzdem bekommen sie Geld. Bei Opfern sind Entschädigungen nicht so hoch.“

CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach (58) kritisiert das Urteil scharf:
„Entschädigungen für die Schwerverbrecher wären eine erneute Demütigung der Opfer. Die zuständigen Regierungen sollten deshalb jetzt genau prüfen, ob die Entscheidung für Deutschland tatsächlich bindend sein muss.” Und weiter: „Das Urteil steht im Gegensatz zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das zu Recht eine nachträgliche Sicherungsverwahrung erlaubt. In manchen Fällen kann ein Richter bei der Urteilsverkündung nicht wissen, dass ein Schwerverbrecher in der Haft jede Therapie ablehnen wird und deshalb eine Gefahr für die Öffentlichkeit ist.“

Joachim Lenders von der Deutschen Polizeigewerkschaft:
„Polizisten müssen die Straftäter nicht nur fangen, sondern auch noch bewachen, wenn sie entlassen werden, damit sie nicht wieder etwas anstellen. Man fasst sich an den Kopf, wenn man hört, dass die Verbrecher auch noch Entschädigungen bekommen.“

Polizeihauptkommissar Lothar Engel (54, Mitglied der GdP) überwacht mit Kollegen in Heinsberg (NRW) einen weiteren bereits aus der Haft entlassenen Sexualstraftäter:
„Es kann nicht sein, dass gefährliche Verbrecher wie Mörder oder Sexualstraftäter frei kommen, weil die Gesetze lückenhaft sind. Hier müssen wir schon eine 24-Stunden-Überwachung für einen freigelassenen Gewalttäter stemmen. Dadurch fehlen die Kollegen natürlich an anderen Stellen, das Personal ist ohnehin knapp. Die Fälle in Duisburg und Steinfurt, wo aus der Sicherungsverwahrung entlassene Sexualstraftäter wieder rückfällig geworden sind, sind klare Belege, dass wir mit unserer kritischen Haltung recht haben."

Opfer-Jurist Thomas Kämmer betreut seit sieben Jahren bundesweit Gewaltopfer:
„Dass die Beschwerdeführer jetzt mit Geld entschädigt werden und Hoffnung auf Freiheit haben, ist ein absolutes Armutszeugnis für die deutschen Politiker. Das sind Schwerverbrecher, die Opfern viel Leid zugefügt haben. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass die Verurteilten wieder eine Straftat begehen.“

Quelle dazu:
http://www.bild.de/BILD/news/2011/01/15 ... eter-kri...

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Alex schrieb: 15.01.2011 19:14: RE: Unfassbare Schadenersatzpraxis im Zusammenhang mit entlassenen Schwerstkriminellen Zitieren
Zu diesem Thema bitte ich die Leser auch, unseren thread zu den bisherigen Urteilen des EuGHMR die Sicherungsverwahrung in Deutschland betreffend zu beachten:

EuGHMR - Urteil zur Sicherungsverwahrung in Deutschland

Die Höhe der jetzt zugesprochenen "Haftentschädigungen" erklärt sich auch daraus, dass der EuGHMR Urteile und Beschlüsse nationaler Gerichte nicht aufheben kann. Die einzelnen Unterzeichnerstaaten der EMRK zu (Straf-) Schadensersatzzahlungen zu verurteilen, ist das einzige Machtmittel des EuGHMR.


Wie wäre es in diesem Zusammenhang, der Staat richtet für die betroffenen Straftäter ein P-Konto ein, überweist das Geld und pfändet es sofort wieder und überweist es an die Opfer. Ich denke mit etwas Kreativität wäre allen gedient. Wer sollte da ernsthaft was gegen machen können, hat doch auch der Täter etwas bekonnen, den pfändungsfreien Betrag!
Liebe Grüße
von Uel

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Re: BGH zur Sicherungsverwahrung

Beitragvon AlexRE » So 16. Jan 2011, 14:35

Uel hat geschrieben:Wie wäre es in diesem Zusammenhang, der Staat richtet für die betroffenen Straftäter ein P-Konto ein, überweist das Geld und pfändet es sofort wieder und überweist es an die Opfer.


Wofür erst ein Konto einrichten? Die Geschädigten können die Forderung selbst pfänden, ohne dass zunächst auf ein Konto des Schädigers überwiesen werden muss.

Bei Sicherungsverwahrten handelt es sich allerdings oft um Mörder, die Hinterbliebenen der Opfer haben nur dann Titel über höhere Summen, wenn materieller Schadensersatz für den Verlust des Ernährers der Familie oder einer Hausfrau und Mutter zugesprochen wurde.

Das Schmerzensgeld für die Hinterbliebenen eines ermordeten Kindes dagegen kommt kaum über 5.000 Euro hinaus:

Den Hinterbliebenen steht dagegen kein direkter Anspruch auf Schmerzensgeld zu. Ein Schmerzensgeldanspruch kommt allenfalls wegen eines erlittenen Schockschadens in Betracht, wenn der Hinterbliebene den Unfall miterlebt hat. Die von der Rechtsprechung zugesprochenen Schmerzensgelder fallen regelmäßig gering aus. So hat das Oberlandesgericht Nürnberg den Kindern, die den Tod ihrer Mutter miterleben mussten, lediglich 5.000 € je Kind zugesprochen.


Quelle: brennecke-partner.de
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Re: BGH zur Sicherungsverwahrung

Beitragvon Uel » So 16. Jan 2011, 16:08

Ich verstehe in diesem Zusammenhang nicht das Gejammer über die Täter, die Strafen abgesessen haben:

Wenn der Staat die Opfer durch so niedrige oder nicht vorgesehene Schadensersatzmöglichkeiten verarscht, dann ist er der Schuldige, und nicht der Täter, der gemäß der Urteile laxer Richter entlassen wird oder werden muss. Es hat doch niemand den Richtern verboten, Auflagen in die Urteile zu schreiben oder besondere Heimtücke oder, wie immer das heisst, festzustellen.

Der Täter ist ohne Zweifel der Schuldige bei der Tat, aber spätestens wenn nach der Tat weiteres Unrecht den Opfern entsteht, dann sind es die Beamten im Justizsektor bis hinauf zum Politiker und Verfassungsrichter, die das Unrecht angerührt haben. Diese muss die Ypsilanti-Zeitung angreifen und nicht Abgeurteilte, die ihre Strafe verbüßt haben.

Wenn jemand eine zu geringe Strafe bekommt, dann ist nicht der Strafgefangene schuldig, sondern das Gericht, welches diese unangemessene Strafe ausspricht. Daher begrüße ich die EGHMR-Urteile, denn endlich fällt es auf die unangemessen handelnde bundesdeutsche Justiz zurück, auf die muss Druck ausgeübt werden, auf die muss von allen Seiten medial eingedroschen werden. Und wir wissen, wo die Lügner sitzen, die lebenslänglich sagen und 10 bis 12 Jahre meinen, allerdings nur für den Täter. Für das Opfer bleibt es bei lebenslänglich, da man noch nicht einmal bereit ist, grosstzügigste psychologische oder sicherheitstechnische Betreung ect. zu leisten.
Liebe Grüße
von Uel

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Re: BGH zur Sicherungsverwahrung

Beitragvon AlexRE » Mo 17. Jan 2011, 13:34

Uel hat geschrieben:Wenn jemand eine zu geringe Strafe bekommt, dann ist nicht der Strafgefangene schuldig, sondern das Gericht, welches diese unangemessene Strafe ausspricht. Daher begrüße ich die EuGHMR-Urteile, denn endlich fällt es auf die unangemessen handelnde bundesdeutsche Justiz zurück, auf die muss Druck ausgeübt werden, auf die muss von allen Seiten medial eingedroschen werden.


Das sehe ich im Prinzip auch so, die deutschen Regelungen zur Sicherungsverwahrung sind stümperhaft - inkonsequent zusammengeschustert und laufen auf eine de facto - Weiterbestrafung nach Strafende hinaus, die deutschen Rechtspolitiker und Verfassungsrichter haben sich in einem sensiblen Komplex höchstrangiger Rechtsprinzipien bewegt wie der berüchtigte Elefant im Porzellanladen. Die Strafschadensersatzzahlungen treffen also die Richtigen und wären insbesondere dann zu begrüßen, wenn die Opfer der Täter und deren Hinterbliebene sie komplett pfänden könnten.

Eine ganz andere Frage ist aber die Konsequenz der Freilassung noch immer gefährlicher Gewaltverbrecher, damit bin ich keineswegs einverstanden. Auf dem Parallelthread des privaten GG-Aktiv - Forums zu den Urteilen des EuGHMR die SV in Deutschland betreffend sind die unterschiedlichen Urteile der Oberlandesgerichte beschrieben, die keineswegs alle entschieden haben, dass in Befolgung des EuGHMR - Urteils die betroffenen Sicherungsverwahrten freigelassen werden müssen. Ein Teil der Oberlandesgerichte hat stattdessen auf die anstehende Neufassung der deutschen Vorschriften zur SV verwiesen, die voraussichtlich den Anforderungen der EMRK entsprechen würden. Das halte ich für die einzig verantwortbare Konsequenz aus den Straßburger Urteilen.
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