Anlässlich der gestrigen Ausstrahlung des Films ist auf dem Forum politopia.de ein thread eröffnet worden. Ich habe dort geschrieben:
Diogenes hat geschrieben:Im konkreten Einzelfall durchaus. Und das passiert weit häufiger, als Du Dir anscheinend bewußt bist. Es wird ständig "abgewogen", was wichtiger ist. Und bei diversen Gesetzen wird der Tod von Menschen auch in Kauf genommen.
Blödsinn.
Nicht ich rede Blödsinn, sondern Ihr - Du und Kurt - kapiert einfach nicht, dass hier zwei gleichrangige Rechtsgüter auf Kollisionskurs sind, von denen Daschner eines verletzen musste, egal was er tat oder nicht tat.
Er konnte sich nur aussuchen, gegen das absolute Folterverbot und damit unabänderliches deutsches und internationales Recht (Menschenrechtserklärung zur UNO - Charta) zu verstoßen oder das Leben des Kindes in einer Weise preiszugeben, die in dieser speziellen Fallkonstellation dem eigenhändigen Töten gleichzustellen ist. Auf einfachgesetzlicher Ebene ist die Bewertung solcher Fallkonstellationen auch normiert:
http://dejure.org/gesetze/StGB/13.htmlWer eine vertraglich übernommene oder gesetzlich zugewiesene Rechtspflicht hat, Menschen zu schützen, wird für die Verletzung dieser Pflicht nicht wegen unterlassener Hilfeleistung (Höchststrafe 1 Jahr Gefängnis), sondern wie ein Täter bestraft, äußerstenfalls also mit einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe wegen Mordes.
Der Schutz von Leib und Leben seiner Bürger ist ohnehin schon die höchste staatliche Pflicht, wenn wie hier in einer konkreten Gefahrensituation das staatliche Gewaltmonopol auch noch jede Selbsthilfe der gefährdeten Menschen oder ihrer Angehörigen ausschließt, gibt es überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen dem Unterlassen der Rettung des Kindes und der Tötung durch aktives staatliches Handeln.
Die Tötung unschuldiger Menschen mit dem Ziel, irgendwelche anderweitigen Rechtsgüter zu schützen, ist aber nicht "nur" eine Verletzung des Rechts auf Leben nach Art. 2 GG, sondern ein Volltreffer in den Kernschutzbereich des Artikels 1 GG, also eine Verletzung unabänderlichen Verfassungsrechts ( "ewiges Verfassungsrecht", siehe Art. 79 Abs. 3 GG ). Das BVerfG hat zuletzt im Urteil zum Lufsicherheitsgesetz deutlich gesagt, dass es mit dem Schutz der Menschenwürde nicht vereinbar ist, das Leben eines Menschen als Instrument zum Schutz der Rechtsgüter Dritter zu benutzen bzw. aufzubrauchen. In so einer Verfügung über das Lebensrecht liegt also immer auch eine schwere Verletzung der Menschenwürde.
Im Ergebnis musste Daschner sich also entscheiden, entweder die Menschenwürde des entführten Kindes oder die des Verdächtigen zu verletzen. Ein Rückzug aus diesem Dilemma innerhalb der Rechtsordnung war nicht möglich, weil eben das Unterlassen jeglichen Eingriffes der aktiven Tötung des Kindes gleichgekommen wäre.
Mithin bleibt nur noch der Rückzug der Rechtsordnung selbst von dem Konfliktfeld insgesamt übrig. Wenn der Staat aber weg ist - und das war er in diesem Fall - hat er keinerlei Hoheitsrechte mehr, irgendeinen der Akteure für seinen Anteil an der Tragödie zu bestrafen, also weder Daschner für sein rein mitmenschliches Handeln noch den Entführer, dem er kein rechtsstaatliches Verfahren gewähren konnte.
Es bliebe nur noch zu prüfen, ob ein Gewaltverbrecher in so einer Situation nach Erstellung forensischer Gutachten zur Abwehr akuter und zukünftiger Gefahren in Sicherungsverwahrung genommen werden könnte. Das allerdings auch zu seinem eigenen Schutz, denn die Abwesenheit des Staates auf dem gesamten Konfliktfeld ist m. M. n. so absolut und final, dass er noch nicht mal einen Racheakt der Hinterbliebenen des Opfers an dem freizulassenden Täter bestrafen dürfte.
http://www.politopia.de/innenpolitik/10 ... post504843