Deutschland, quo vadis?

Hier können aktuelle Themen getrennt voneinander auf gesonderten threads erörtert werden.

Re: Deutschland, quo vadis?

Beitragvon Excubitor » Di 28. Dez 2021, 19:13

AlexRE hat geschrieben:Die medizinische Kompetenz hilft dem Entscheider bei der Entscheidung in einer komplexen ethischen Frage nur bedingt - insbesondere wenn Richter das ganz anders sehen als er. Die haben nämlich das letzte Wort. Deshalb ist maximale Rechtssicherheit für alle Beteiligten erforderlich und das heutige Urteil richtig.


Es ergibt sich schon aus der Fragestellung unmissverständlich, dass Richter und Politiker
an der entscheidenden Stelle einer Triage sachlich und faktisch gar nicht eingreifen können.
Es können nur vertretbare Rahmenbedingungen geschaffen werden, die in einer jeweiligen
Einzelentscheidung dann aber kaum von Bedeutung sein dürften, weil es teils sehr schnell
gehen muss, eine solche Entscheidung zu treffen. Und da kommt es ausnahmslos immer auf
medizinische Kompetenz an. Das ist es ja, was auch der FAZ-Kommentator kritisiert hat, dass
man da den Politikern etwas verlangt, das sich in Gesetzesform so gar nicht fassen lässt. Da
hilft der
Beschluss des BverfG nur sehr bedingt weiter.
Der Beschluss selbst weist in Leitsatz 3 auch darauf hin, dass es im Wesentlichen darum gehe, dass
der Gesetzgeber hinreichend wirksamen Schutz vor einer Benachteiligung wegen der Behinderung
bewirkt, was auch das Begehren der Kläger war.

Die ethische Frage ist bei weitem nicht der komplexeste Teil in der Angelegenheit. Die lässt
sich mit der schlichten Feststellung, wie es das GG an unterschiedlichen Stellen ohnehin schon
vorgenommen hat, dass nämlich alle Menschen unabhängig von dann an dieser Stelle aufzuzählenden
Gründen gleich zu betrachten sind, relativ leicht beantworten. Schwierig wird es ausschließlich
bei der letzten Entscheidung am Ende. Da darf man gespannt sein, was sich die schon zu wesentlich
einfacheren Entscheidungen nicht Fähigen dazu ausdenken, bzw. ausdenken lassen werden, da das
bekanntlich zumeist andere tun.
Zuletzt geändert von Excubitor am Di 28. Dez 2021, 22:10, insgesamt 1-mal geändert.
Bild
© TU Graz

Solidarität mit den Menschen in der Ukraine
Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. (Berthold Brecht)
Benutzeravatar
Excubitor
 
Beiträge: 13097
Registriert: So 24. Apr 2011, 16:39

Re: Deutschland, quo vadis?

Beitragvon maxikatze » Di 28. Dez 2021, 19:50

Excubitor hat geschrieben:
AlexRE hat geschrieben:Die medizinische Kompetenz hilft dem Entscheider bei der Entscheidung in einer komplexen ethischen Frage nur bedingt - insbesondere wenn Richter das ganz anders sehen als er. Die haben nämlich das letzte Wort. Deshalb ist maximale Rechtssicherheit für alle Beteiligten erforderlich und das heutige Urteil richtig.


Es ergibt sich schon aus der Fragestellung unmissverständlich, dass Richter und Politiker
an der entscheidenden Stelle einer Triage sachlich und faktisch gar nicht eingreifen können.
Es können nur vertretbare Rahmenbedingungen geschaffen werden, die in einer jeweiligen
Einzelentscheidung dann aber kaum von Bedeutung sein dürften, weil es teils sehr schnell
gehen muss, eine solche Entscheidung zu treffen. Und da kommt es ausnahmslos immer auf
medizinische Kompetenz an.
Das ist es ja, was auch der FAZ-Kommentator kritisiert hat, dass
man da den Politikern etwas verlangt, das sich in Gesetzesform so gar nicht fassen lässt. Da
hilft der
Beschluss des BverfG nur sehr bedingt weiter.
Der Beschluss selbst weist in Leitsatz 3 auch darauf hin, dass es im Wesentlichen darum gehe, dass
der Gesetzgeber hinreichend wirksamen Schutz vor einer Benachteiligung wegen der Behinderung
bewirkt, was auch das Begehren der Kläger war.

Die ethische Frage ist bei weitem nicht der komplexeste Teil in der Angelegenheit. Die lässt
sich mit der schlichten Feststellung, wie es das GG an unterschiedlichen Stellen ohnehin schon
vorgenommen hat, dass nämlich alle Menschen unabhängig von meinetwegen hier aufzuzählenden
Gründen gleich zu betrachten sind, relativ leicht beantworten. Schwierig wird es ausschließlich
bei der letzten Entscheidung am Ende. Da darf man gespannt sein, was sich die schon zu wesentlich
einfacheren Entscheidungen nicht Fähigen dazu ausdenken, bzw. ausdenken lassen werden, da das
bekanntlich zumeist andere tun.


Daumen-hoch-658x370-7c4ebcbb04bcee8f.jpg
"Die größte Errungenschaft unserer freiheitlichen Kultur ist die Überwindung von Denkverboten." (Vince Ebert)
* * *
Bild
Benutzeravatar
maxikatze
Administrator
 
Beiträge: 23579
Registriert: Di 16. Dez 2008, 16:01
Wohnort: Sibirien ;)

Schon vorhandene Triage-Regelung

Beitragvon Excubitor » Mi 29. Dez 2021, 18:40

Ergänzend zum Thema ist noch anzumerken, dass seitens der DIVI* ausformuliert
bereits eine Triage-Regelung für die Mediziner existiert, die solche
diskriminierenden Aspekte der vor dem BVerfG verhandelten Art bereits
ausschließt.
Vielleicht sollten die Politiker das einfach mal übernehmen, damit sie dann
wenigstens eine brauchbare Lösung vorzuweisen haben, die auch rechtlich
Bestand hätte, bzw. haben dürfte.

Siehe dazu ausführlich
http://taeglich-ueberleben.xobor.de/t24 ... ml#msg2634


* DIVI = Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin
Bild
© TU Graz

Solidarität mit den Menschen in der Ukraine
Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. (Berthold Brecht)
Benutzeravatar
Excubitor
 
Beiträge: 13097
Registriert: So 24. Apr 2011, 16:39

Re: Deutschland, quo vadis?

Beitragvon AlexRE » Mi 29. Dez 2021, 20:13

Die ethischen Fragen sind nicht der komplexeste Teil des Themas? Es geht überhaupt nicht um rein medizinische Fragen. Niemand will den Ärzten absprechen, dass sie alleine festzustellen haben, wer warum welche Überlebenschancen hat. Wie dann aber auf der Grundlage dieser Feststellungen triagiert werden darf, ist nur eine ethische Frage und gar keine medizinische mehr. Da ist es eben m. M. n. für alle Beteiligten besser, wenn Rechtssicherheit geschaffen und der einzelne Arzt nicht dem Risiko ausgesetzt wird, dass sich Gerichte nicht seinen ethischen Anschauungen anschließen.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
Benutzeravatar
AlexRE
Administrator
 
Beiträge: 27578
Registriert: Di 16. Dez 2008, 15:24

Re: Deutschland, quo vadis?

Beitragvon Excubitor » Mi 29. Dez 2021, 22:18

AlexRE hat geschrieben:Die ethischen Fragen sind nicht der komplexeste Teil des Themas? Es geht überhaupt nicht um rein medizinische Fragen. Niemand will den Ärzten absprechen, dass sie alleine festzustellen haben, wer warum welche Überlebenschancen hat. Wie dann aber auf der Grundlage dieser Feststellungen triagiert werden darf, ist nur eine ethische Frage und gar keine medizinische mehr. Da ist es eben m. M. n. für alle Beteiligten besser, wenn Rechtssicherheit geschaffen und der einzelne Arzt nicht dem Risiko ausgesetzt wird, dass sich Gerichte nicht seinen ethischen Anschauungen anschließen.


Ich sehe das genau umgekehrt. Der Rahmen des Vorgehens bei einer Triage ist ein ethisch zu verantwortender.
Gar keine Frage, dass dafür Rechtssicherheit erforderlich ist. Das kann man ja bei der DIVI abschreiben,
die bereits ein Konglomerat aus ethischen und medizinischen Erwägungen ausformuliert hat, die quasi nur noch
in eine rechtliche Form gegossen werden müssten, wie ich in meinem letzten Beitrag bereits angemerkt habe.

Innerhalb dieses vorgegebenen ethischen Rahmens folgt dann die eigentliche Triage im engeren Sinn, die dann
sozusagen direkt am Rand des Krankenbetts medizinischen Kriterien zu folgen hat. So sehe ich das. Umgekehrt
wäre das gar nicht möglich. Im Moment der Entscheidung, wer z. B. konkret letztlich das einzige Beatmungsgerät
bekommt, wenn zwei oder mehr Patienten darauf angewiesen sein sollten, sind es am Ende dann die medizinisch
gegründeten Fakten, z. B. für wen von den ethisch Gleichgestellten die höchsten Überlebenschancen bestehen.
Bild
© TU Graz

Solidarität mit den Menschen in der Ukraine
Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. (Berthold Brecht)
Benutzeravatar
Excubitor
 
Beiträge: 13097
Registriert: So 24. Apr 2011, 16:39

Re: Deutschland, quo vadis?

Beitragvon maxikatze » Do 30. Dez 2021, 08:10

Excu schrieb:
... wer z. B. konkret letztlich das einzige Beatmungsgerät
bekommt, wenn zwei oder mehr Patienten darauf angewiesen sein sollten, sind es am Ende dann die medizinisch
gegründeten Fakten, z. B. für wen von den ethisch Gleichgestellten die höchsten Überlebenschancen bestehen.


Das sehe ich genau so. An Alex' Argumentation kann ich mich nicht anschließen. Denn:
Wenn ein Körperbehinderter ein Intensivbett braucht, ein nicht behinderter Patient ebenfalls dieses Bett benötigt, würde das bedeuten, dass der Körperbehinderte das Intensivbett in jedem Fall bekommt, egal ob seine Heilungsaussichten positiv oder negativ sind? Tut mir leid, aber es sollte keine Rolle spielen, ob der Patient körperbehindert ist oder nicht. Das muss man außen vor lassen, sondern sich nur auf die Heilungsaussichten konzentrieren. Wer von ihnen die besseren Heilungsaussichten hat, sollte das Bett erhalten. Das kann sowohl der Behinderte sein oder eben auch ein Nichtbehinderter.


Ich bin auch fest davon überzeugt, dass kein einziger Arzt körperbehinderte Patienten "diskriminiert" (wer das machen würde, hätte den Beruf verfehlt) und ihm das I-Bett versagt, weil er körperlich behindert ist und halte deswegen die Klage vorm BVerfG daher für ein Sturm im Wasserglas.
"Die größte Errungenschaft unserer freiheitlichen Kultur ist die Überwindung von Denkverboten." (Vince Ebert)
* * *
Bild
Benutzeravatar
maxikatze
Administrator
 
Beiträge: 23579
Registriert: Di 16. Dez 2008, 16:01
Wohnort: Sibirien ;)

Re: Deutschland, quo vadis?

Beitragvon AlexRE » Do 30. Dez 2021, 08:55

O. K., wenn Ihr das unbedingt wollt, sollen von mir aus die Ärzte ohne gesetzliche Rechtssicherheit entscheiden, wer weiterleben darf. Der eine oder andere Dr. wird dann zwar im Knast landen, aber das ist seine eigene Doofheit. Er hätte ja auch in einen Rechtsstaat auswandern können.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
Benutzeravatar
AlexRE
Administrator
 
Beiträge: 27578
Registriert: Di 16. Dez 2008, 15:24

Re: Deutschland, quo vadis?

Beitragvon maxikatze » Do 30. Dez 2021, 13:11

AlexRE hat geschrieben:O. K., wenn Ihr das unbedingt wollt, sollen von mir aus die Ärzte ohne gesetzliche Rechtssicherheit entscheiden, wer weiterleben darf. Der eine oder andere Dr. wird dann zwar im Knast landen, aber das ist seine eigene Doofheit. Er hätte ja auch in einen Rechtsstaat auswandern können.



Okay, wenn du unbedingt willst, dass ein Behinderter Vorrang haben sollte und ein anderer die A-Karte bekommt, musst du auch in Erwägung ziehen, dass die Chance, dass beide Patienten versterben, gestiegen ist. Nämlich der Behinderte, der es trotz künstl. Beatmung es trotzdem nicht schafft und der andere Patient, weil er eventuell mit der Beatmung überlebt hätte.

Nochmal: Ich halte es nicht für diskriminierend, wenn derjenige ein Intensivbett bekommt, der die größeren Überlebenschancen hat. Die kann der Behinderte haben, aber die Chancen können auch fifty- fifty sein. Was dann?
Letztendlich muss das Ärzteteam entscheiden. Oder im günstigen Fall wird andernorts ein Bett frei.
Ich weiß, es ist weit hergeholt, aber es könnte sogar passieren, dass zwei Behinderte das einzig zur Verfügung stehende Intensivbett brauchen. Was machst'n dann?
;)
"Die größte Errungenschaft unserer freiheitlichen Kultur ist die Überwindung von Denkverboten." (Vince Ebert)
* * *
Bild
Benutzeravatar
maxikatze
Administrator
 
Beiträge: 23579
Registriert: Di 16. Dez 2008, 16:01
Wohnort: Sibirien ;)

Re: Deutschland, quo vadis?

Beitragvon Staber » Fr 31. Dez 2021, 12:56

Moin!
Aus der Zeitschrift "TUMULT"
https://www.tumult-magazine.net/sommer-2018
Scrollen bis zum Thema Massenzuwanderung


https://80b614d4-7337-4ecf-b8de-34f5148 ... 886606.pdf
"Wir werden Ambos ,wenn wir nichts tun um Hammer zu sein."
Fürst Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen (1815-1898)

Gesund bleiben !
Gruß Staber
Benutzeravatar
Staber
 
Beiträge: 12050
Registriert: Do 21. Apr 2011, 12:43
Wohnort: Bremen

Re: Deutschland, quo vadis?

Beitragvon Excubitor » Fr 31. Dez 2021, 17:47

AlexRE hat geschrieben:O. K., wenn Ihr das unbedingt wollt, sollen von mir aus die Ärzte ohne gesetzliche Rechtssicherheit entscheiden, wer weiterleben darf. Der eine oder andere Dr. wird dann zwar im Knast landen, aber das ist seine eigene Doofheit. Er hätte ja auch in einen Rechtsstaat auswandern können.


Wo steht in meinen Beiträgen gleich etwas von "ohne Rechtssicherheit"?
Im Gegenteil wird mehrfach darauf hingewiesen, das man schon existenten
Regelungen eine rechtliche Form geben könnte, da diese die ethischen
Vorgaben bereits zum großen Teil berücksichtigen.
Siehe z. B.
viewtopic.php?f=66&t=2754&p=129196&sid=9654c6a28976029a1b250947fb83625f#p129155
sowie

viewtopic.php?f=66&t=2754&p=129196&sid=9654c6a28976029a1b250947fb83625f#p129161
Zuletzt geändert von Excubitor am Fr 31. Dez 2021, 20:21, insgesamt 1-mal geändert.
Bild
© TU Graz

Solidarität mit den Menschen in der Ukraine
Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. (Berthold Brecht)
Benutzeravatar
Excubitor
 
Beiträge: 13097
Registriert: So 24. Apr 2011, 16:39

VorherigeNächste

Zurück zu Weitere aktuelle Themen

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 30 Gäste