Artikel 103 GG

Kommentare zu dem entstehenden Verfassungsentwurf bitte nur auf dieses Unterforum schreiben, nicht in den Verfassungstext selbst.

Artikel 103 GG

Beitragvon AlexRE » Sa 8. Feb 2014, 18:09

Anläßlich der aktuellen Diskussion um den § 211 StGB (Mord) wird es Zeit, hier einen thread zu dem Artikel 103 GG mit seiner Auflistung fundamentaler rechtsstaatlicher Grundsätze vor Gericht zu eröffnen.

Von unserem thread "Aktuelles: Thema des Tages" hierher kopiert:

Sonnenschein+8+ hat geschrieben:Der Mord § soll geändert werden weil alle meinen dass das von den Nazis stammt

http://www.sueddeutsche.de/panorama/rechtsverstaendnis-aus-nazi-zeiten-justizminister-maas-will-mord-und-totschlag-reformieren-1.1883041

8. Februar 2014 07:28 Rechtsverständnis aus Nazi-Zeiten

Justizminister Maas will Mord und Totschlag reformieren

"Heimtücke" oder "niedrige Beweggründe": Das kennzeichnet im deutschen Strafrecht einen Mord. Bundesjustizminister Heiko Maas will die entsprechende gesetzliche Regelung überarbeiten - sie stammt noch aus der Zeit des Nationalsozialismus.


Wer hat`s erfunden? :mrgreen:

http://opinioiuris.de/entscheidung/878

B.
I.


Die Neufassung des § 211 StGB durch das Gesetz vom 4. September 1941 (RGBl. I S. 549) lehnt sich an alte Entwürfe zu einem Schweizerischen Strafgesetzbuch an. Art. 52 des Vorentwurfs dieses Gesetzes nach den Beschlüssen der Expertenkommission 1896 lautete:


Die heute geltende Fassung des § 211 ist insbesondere wegen Art. 103 Abs. 2 ( "besonderes Bestimmtheitsgebot" ) höchst problematisch:

Artikel 103

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.


http://dejure.org/gesetze/GG/103.html

Besonderen Bestimmtheitsanforderungen (Klarheit und Genauigkeit) kann eine Formulierung wie "oder sonst aus niedrigen Beweggründen" im § 211 StGB natürlich nicht ansatzweise gerecht werden.

Um so bemerkenswerter ist es, dass der Gesetzgeber von 1949 / Inkrafttreten des GG bis heute allein den Gerichten überlassen hat, eine strukturell verfassungswidrige Vorschrift in einigermaßen verfassungskonformer Weise anzuwenden. Da sie nie irgendwelche "niedrigen Beweggründe" erdichtet haben, die für den Angeklagten völlig überraschend gewesen wären (was das Gesetz ihnen ermöglicht hätte), haben die Richter zumindest das Schadenspotential für den Rechtsstaat, das der Artikel 103 Abs. 2 GG abwenden soll, ohne jede Mitwirkung der Politiker einigermaßen unter Kontrolle gehalten.

Das heißt aber nicht, dass die "sonstigen Beweggründe" nie zu bösen Überraschungen für Angeklagte geführt haben. Die pure Abwesenheit jedes nachvollziehbaren Mordmotivs ( siehe "Tottreter" ) kann z. B. wegen der damit verbundenen totalen Willkür laut BGHSt als sittlich besonders niedrigstehend und damit als ein "sonstiger niedriger Beweggrund" angesehen werden - oder auch nicht, je nach Auffassung bzw. akuter Befindlichkeit der im Einzelfall zuständigen Richter. In solchen besonderen Fällen ist also durchaus ein Verfassungsschaden eingetreten, auch wenn durch das Urteil völlig überraschte Tottreter niemandem leidtun werden (außer sie sich selbst).
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Artikel 103 GG

Beitragvon Sonnenschein+8+ » So 9. Feb 2014, 15:27

Ich hab noch was auf der Arena dazu geschrieben

Ali Ria Ashley hat geschrieben:Würdest du mich und uns ein wenig mehr erhellen über das Thema? Wie hat sich dieser "Mord-Paragraph" entwickelt? Die Nazis haben also an dieser stelle etwas wieder eingeführt... wer hatte es denn zuvor entfernt?

Warum haben denn ausgerechnet die Nazis diese Elemente wieder eingeführt, was war der Hintergrund???



so genau kenne ich mich auch nicht aus ich hab die Geschichte mit dem Mord § und der Schweiz selbst nur auf einem forum gelesen.

jedenfalls ist der unterschied zwischen Mord und Totschlag in den meisten Ländern Mord = Absicht, Plan usw. / Totschlag = spontan wie Wutanfall u. ä.

das war bis 1941 in Deutschland auch immer so nur in der Schweiz haben sie das anders gemacht und das hat den Nazis gefallen.

ist ja klar wer denkt dass es überall wertvolle und minderwertige menschen gibt der denkt das auch von menschen die andere menschen umbringen.


eboshi hat geschrieben:Das stinkt mir wieder nach Feministinen - Lobby was Minister gar nicht bestreitet und sogar ein Schritt in Richtung Gerechtigkeit sieht:



Erstens sind es tatsächlich zwei Delikte, die Frau kann wunderbar einen Mann mit ne Gusspfanne erschlagen oder erstechen also ist sie von wundabaren Möglichkeiten des Totschalg nicht ausgeschlossen.
Zweitens um heimtückischen Mörderinen zu helfen will er einfach Heimtücke grundsäzlich als einzige Weg der FRau (immer ein Opfer) darstellen. Es dreht sich doch nicht nur um Frauen mit Gift beim Heimtücke.

Naja, ich bin kein Jurist aber von einem Minister erwarte ich schon wenigstens normale Lebenserfahrung.



was für ein Blödsinn das hat mit Feministinnen nichts zu tun.

das mit dem Haustyrann ist nur ein Beispiel dafür dass der deutsche Mord § Stärkere oder Leute in der Überzahl oder mit Waffen besser behandelt als Schwächere die tricks brauchen um gewinnen zu können. das ist dann "Heimtücke".

feige Tottreter die überhaupt keinen richtigen Grund für ihre Gemeinheit haben sind aber in Deutschland nur Totschläger. anderswo und in Deutschland vor 1941 wären das Mörder.
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Re: Artikel 103 GG

Beitragvon maxikatze » So 9. Feb 2014, 16:15

feige Tottreter die überhaupt keinen richtigen Grund für ihre Gemeinheit haben sind aber in Deutschland nur Totschläger



Wäre wünschenswert, dass das Gesetz dahingehend geändert wird, dass Tottreten in Zukunft als Mord gilt. Hoffentlich sehen das die Experten um Heiko Maas auch so.
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Re: Artikel 103 GG

Beitragvon AlexRE » So 9. Feb 2014, 17:54

maxikatze hat geschrieben:
feige Tottreter die überhaupt keinen richtigen Grund für ihre Gemeinheit haben sind aber in Deutschland nur Totschläger



Wäre wünschenswert, dass das Gesetz dahingehend geändert wird, dass Tottreten in Zukunft als Mord gilt. Hoffentlich sehen das die Experten um Heiko Maas auch so.


Es gibt auch (BGH-) Urteile, nach denen brutale Gewalt ohne jeden Grund "sittlich besonders niedrigstehend" und deshalb ein "sonstiger niedriger Beweggrund" und damit Mord ist. Das hält aber letztendlich jeder Richter, wie er will. Deshalb halte ich persönlich so eine Gummi - Formulierung wie "niedriger Beweggrund" für verfassungswidrig wegen Verstoßes gegen den Artikel 103 Abs. 2 GG, wenn die Bedeutung so einer schwammigen Formulierung nicht irgendwie anders im Gesetzestext eingegrenzt wird und der freien Auslegung durch die Richter überlassen wird.
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Re: Artikel 103 GG

Beitragvon AlexRE » Mi 14. Mai 2014, 16:24

Auf Facebook gesehen und kommentiert:

Helmut Krause

Keine Strafe ohne Gesetz

Zu den anerkannten Grundsätzen eines Rechtsstaats gehört die Regel „Keine Strafe ohne Gesetz“.

Dies ergibt sich u.a. aus § 1 StGB [Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.], aus Art. 103 Abs. 2 GG [Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.] und aus Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention [Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war.]

Mindesten zwei Mal in der deutschen Geschichte wurde gegen diesen Grundsatz verstoßen. Den „willigen Vollstreckern des dritten Reiches“ und den „Mauerschützen“ wurde die Berufung auf diesen wichtigen rechtsstaatlichen Grundsatz verwehrt.

Wer eine Rechtfertigung dafür sucht, wird in Art 7 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention fündig. Dort heißt es:


Dieser Artikel schließt nicht aus, daß jemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt oder bestraft wird, die zur Zeit ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar war.

Beim „Juden vergasen“ und „Republikflüchtlinge erschießen“ waren sich die zivilisierten Völker über die "allgemeinen Rechtsgrundsätze" schnell einig. So etwas wurde und gehört bestraft.


Wie sieht es aber mit anderen „Menschheitsverbrechen“ aus?

Sollte jemand bestraft werden, der aus Profitgier und/oder mangelnder Sorgfalt große Landstriche und Meere radioaktiv verseucht und/oder dauerhaft gefährdet?

Sollte jemand bestraft werden, der aus Profitgier und/oder mangelnder Sorgfalt das Finanzsystem eines ganzen Kontinents ruiniert und/oder dauerhaft gefährdet?


Sollten beide Fragen bejaht werden, stellt sich die Frage, ob nicht wegen akuter Fluchtgefahr schon mal die Pässe beschuldigter Manager, Lobbyisten und Politiker eingezogen werden sollten.


Details zu den Grenzen des besonderen Bestimmtheitsgebots / Rückwirkungsverbots:

http://de.wikipedia.org/wiki/Radbruchsche_Formel

Das ist heute rechtswissenschaftlich international anerkannt. Die hohen Herrschaften, die gegen alle nationalen europäischen Verfassungen den Massenwohlstand in Europa versenkt und vielleicht auch die endgültige europäische Einigung verhindert haben, sollten sich des ewigen Wohlwollens der von ihnen selbst ausgesuchten Richter in Karlsruhe und Straßburg nicht zu sicher sein.

Jeder echte Volkssouverän - sogar der deutsche - kann sich jederzeit eine neue Verfassung geben und die Karten ganz neu mischen.
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Re: Artikel 103 GG

Beitragvon AlexRE » Sa 28. Mai 2016, 21:51

Auf Facebook gesehen und kommentiert:

SPD-Plan Deutsche sollen Herkunft ihres Vermögens nachweisen

(...)

ie SPD will schärfer gegen Steuerbetrug vorgehen. Zur Abschöpfung etwa von Gewinnen aus Straftaten soll es reichen, dass der Ursprung des Vermögens ungeklärt ist. Das geht aus einem Zehn-Punkte-Katalog hervor, der am Montag vom Parteivorstand beschlossen werden soll. „Auch Vermögen unklarer Herkunft sollen künftig eingezogen werden können“, heißt es in dem Entwurf. „Wir drehen die Beweislast um.“ Steuerbetrug und Geldwäsche würden damit für die Straftäter unattraktiv.

(...)


http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/w ... 57096.html

>> "Schuldig, bis die Unschuld bewiesen ist". Und da sagen die Leute immer, manche Sachen gäbe es nur in der Türkei. <<

Das wird letztlich nur rechtskräftig verurteile Steuerhinterzieher und andere Straftäter betreffen. Der Einzug von Vermögensteilen nur wegen des fehlenden Herkunftsnachweises würde vom Bundesverfassungsgericht als unverhältnismäßiger Eingriff in die Eigentumsgarantie angesehen werden.

Das Gericht hat allerdings auch die Vermögensstrafe (Einzug des gesamten Vermögens als Strafe, § 43a StGB) wegen Verstoßes gegen das besondere Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) für verfassungswidrig erklärt.

Es könnte sein, dass die Verfassungsrichter den neuen Plan als Einführung der Vermögensstrafe "durch die Hintertür" ansehen und die entsprechenden Vorschriften erneut kassieren.
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