Artikel 102 GG / Todesstrafe

Kommentare zu dem entstehenden Verfassungsentwurf bitte nur auf dieses Unterforum schreiben, nicht in den Verfassungstext selbst.

Re: Asozialstaat Deutschland: Längst zunehmend Lebensrealität

Beitragvon AlexRE » Do 7. Nov 2013, 20:29

Staber hat geschrieben:Bis zum heutigen Tag hat keine wissenschaftliche Studie einen überzeugenden Beweis dafür erbracht, dass die Todesstrafe eine stärkere abschreckende Wirkung hat , als langjährige Haftstrafen.
Jede Gesellschaft sucht nach Schutz vor Verbrechen. Klar! Das Festhalten an der Todesstrafe ermöglicht den Regierungen vielleicht, den Eindruck zu erwecken, dass sie starke Maßnahmen gegen das Verbrechen ergriffen. In Wahrheit lenkt dies nur davon ab, über soziale Strategien nachzudenken, die notwendig sind, um die Ursachen für Kriminalität zu bekämpfen. Diese sind in komplexen seelischen wie gesellschaftlichen Bedingungen (z.B. soziale Missstände) zu suchen, auf die die Todesstrafe meines Erachtens keinerlei Einfluss nimmt. Gestern wurden laut einem staatlichen iranischen Nachrichtensender im Gefängnis von Dschiroft in der Provinz Kerman fünf Häftlinge gehängt.
Ahamad Ali Anjamrooz, Justizvertreter der Stadt Dschiroft, gab gestern in einer Pressekonferenz bekannt, die fünf hätten versucht, mit dem Graben eines 18 Meter langen Fluchttunnels der Hinrichtung zu entgehen.Innerhalb von fünf Tagen hätten sie 15 Meter geschafft, dann wurde das Vorhaben bei einer Zellendurchsuchung entdeckt.
Die Namen der Gefangenen wurden nicht bekannt gegeben. Sie sollen alle wegen Drogenkriminalität verurteilt worden sein.
Tausende Gefangene wurden wie z.B. im Iran hingerichtet, dennoch fehlt jeder Hinweis darauf, dass die Todesstrafe Drogenhandel oder Drogenmissbrauch reduziert.


Dass Terrorregime unter dem Etikett "Todesstrafe" aus allen möglichen und unmöglichen Gründen Menschen ermorden, ist noch kein Grund für eine Selbstbeschränkung von Rechtsstaaten (siehe meine Signatur). Wohl aber die Gefahr, durch von Rachetrieb bestimmte Prozesse fahrlässig falsche Urteile zu generieren. Das reicht ja auch für die Ablehnung der Todesstrafe.

Aber wenn man sich damit nicht begnügt, sondern zusätzlich noch gebetsmühlenartig Bekenntnisse zu dem hohen Wert der Menschenwürde und des Lebensrechts von Mördern herunterzuleiern, läuft man Gefahr, die Menschenwürde und das Lebensrecht von Mordopfern in Frage zu stellen.

Genau genommen hat sich diese Gefahr bereits verwirklicht, wie man an etlichen weichzeichnerischen Gerichtsentscheidungen zu ekelhaften Gewaltdelikten sieht.
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Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Artikel 102 GG / Todesstrafe

Beitragvon maxikatze » Fr 8. Nov 2013, 19:11

Frage:
Aber wer gibt denn Gesetzgeber, Richter und Henker die Legitimation zum Vollstrecken eines Todesurteils?

Antwort:
Die brauchen keine Legitimation, weil sie nicht wirklich töten.


S.2


Der Gesetzgeber glaubt, keine Legitimation zu brauchen? Das löst bei mir Unbehagen aus.
Dass Gesetzgeber, Juristen usw abgehobene Völkchen sind, auf der Beliebtheitsskala weit unten stehen,
ahnte ich schon vorher. Weil ihnen der Makel der Besserwisserei und Rechthaberei, anheftet.
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Re: Artikel 102 GG / Todesstrafe

Beitragvon AlexRE » Fr 8. Nov 2013, 20:44

maxikatze hat geschrieben:Der Gesetzgeber glaubt, keine Legitimation zu brauchen? Das löst bei mir Unbehagen aus.
Dass Gesetzgeber, Juristen usw abgehobene Völkchen sind, auf der Beliebtheitsskala weit unten stehen,
ahnte ich schon vorher. Weil ihnen der Makel der Besserwisserei und Rechthaberei, anheftet.


Deswegen bin ich ja gegen die Todesstrafe, weil Gesetzestechniker aller Art auch nur Menschen sind - und nicht die besten -, die früher oder später Unschuldige vernichten würden, wenn sie die Macht zu töten hätten.

Das heißt aber noch lange nicht, dass ein Mörder ein ureigenes Menschenrecht hat, am Leben zu bleiben. Wenn Politiker und Richter keine schwachen Menschen wären, hätte er das definitiv nicht.
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Re: Artikel 102 GG / Todesstrafe

Beitragvon Staber » Fr 8. Nov 2013, 21:21

@Alex
Wenn Politiker und Richter keine schwachen Menschen wären,


Gut so das sie schwach sind, sonst hätten wir evtl. eine andere Staatsform! ;)

gruß aus HB
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Re: Artikel 102 GG / Todesstrafe

Beitragvon AlexRE » Fr 8. Nov 2013, 21:34

Staber hat geschrieben:@Alex
Wenn Politiker und Richter keine schwachen Menschen wären,


Gut so das sie schwach sind, sonst hätten wir evtl. eine andere Staatsform! ;)

gruß aus HB


"Schwach" meinte ich im Sinne von mentaler Schwäche. Wenn kein Jurastudium und kein Amtseid etwas daran ändern kann, dass die Staatsmacht zu töten in einem unschuldige Menschen vernichtenden Rausch endet, muss man eben auf die Todesstrafe verzichten.

Wie gesagt, das heißt nicht, dass Mörder ein in ihrer eigenen Person liegendes Recht auf Weiterleben haben. Das haben sie definitiv nicht, die darf man nur aufgrund fremden Rechts nicht töten, aus dem Recht aller unschuldig Hingerichteten der Vergangenheit und vor allem aus dem Recht aller von zukünftigen Fehlurteilen gefährdeten Menschen. Wer ein ureigenes Lebensrecht von Mördern behauptet, um sich selbst als moralischer Edelmensch bzw. Herrenmensch der moralischen Art zu gefallen, beleidigt alle Mordopfer der Vergangenheit und der Zukunft.
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Re: Artikel 102 GG / Todesstrafe

Beitragvon maxikatze » Sa 9. Nov 2013, 12:11

Wie gesagt, das heißt nicht, dass Mörder ein in ihrer eigenen Person liegendes Recht auf Weiterleben haben. Das haben sie definitiv nicht,...


Kein Richter auf der Welt sollte das Recht haben dürfen, einen Auftragskiller zu bestellen. Denn er ist - und das ist auch definitiv - nichts anderes als der Vollstrecker eines Todesurteils.
Aber ich sehe, wir drehen uns im Kreis, weil hier Welten aufeinanderprallen. Ich lasse es damit genug sein.
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Re: Artikel 102 GG / Todesstrafe

Beitragvon Staber » Sa 9. Nov 2013, 13:37

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Ich möchte mich auch nicht mehr im Kreise drehen. :roll:
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Re: Artikel 102 GG / Todesstrafe

Beitragvon AlexRE » Sa 9. Nov 2013, 15:10

maxikatze hat geschrieben:
Wie gesagt, das heißt nicht, dass Mörder ein in ihrer eigenen Person liegendes Recht auf Weiterleben haben. Das haben sie definitiv nicht,...


Kein Richter auf der Welt sollte das Recht haben dürfen, einen Auftragskiller zu bestellen. Denn er ist - und das ist auch definitiv - nichts anderes als der Vollstrecker eines Todesurteils.
Aber ich sehe, wir drehen uns im Kreis, weil hier Welten aufeinanderprallen. Ich lasse es damit genug sein.


Auch die Bestellung des "Auftragskillers" geht letztendlich von dem Mörder selbst aus. Er muss das Verbot, andere Menschen zu töten, ja nicht übertreten.

Ich könnte jetzt noch anführen, dass die echte lebenslängliche Freiheitsstrafe durch die Orientierung an den vermeintlichen Menschenrechten des Mörders heute auch ausgeschlossen ist und die dadurch notwendige regelmäßige Freilassung von überführten Mördern bereits in einer Reihe von Einzelfällen zu erneuten Morden geführt hat und dass deshalb die Mörder - Freilasser in gewisser Weise auch Todesurteile aussprechen, und zwar gegen völlig unschuldige Menschen.

Außerdem könnte man noch an den Spruch "Soldaten sind Mörder" erinnern. Wenn Richter Auftragskiller bestellen, trifft das mit den Soldaten auch zu.

Innerhalb des Spektrums reiner politischer Glaubensfragen dreht man sich aber tatsächlich nur im Kreis und verschwendet seine Zeit mit Diskussionen darüber.
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Re: Artikel 102 GG / Todesstrafe

Beitragvon Dardonthinis » Sa 9. Nov 2013, 21:03

AlexRE hat geschrieben:Ich könnte jetzt noch anführen, dass die echte lebenslängliche Freiheitsstrafe durch die Orientierung an den vermeintlichen Menschenrechten des Mörders heute auch ausgeschlossen ist und die dadurch notwendige regelmäßige Freilassung von überführten Mördern bereits in einer Reihe von Einzelfällen zu erneuten Morden geführt hat und dass deshalb die Mörder - Freilasser in gewisser Weise auch Todesurteile aussprechen, und zwar gegen völlig unschuldige Menschen.

Es wäre auch möglich, dass der Gesetzgeber wieder die "echte" lebenslange Freiheitsstrafe einführt, denn auch das Bundesverfassungsgericht ist ein Gericht und als solches an das Grundgesetz gebunden, das dann allerdings vom Gesetzgeber entsprechend geändert werden müsste, um dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit zu nehmen, seine bisherige Rechtsauffassung zur sogenannten echten lebenslangen Freiheitsstrafe weiter zu vertreten. Natürlich bin ich mir darüber klar, dass eine Grundgesetz-Änderung eine Zweidrittelmehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat erfordert. Aber möglich wäre es, falls sich der herrschende politische Wille ändern sollte.

Die "echte" lebenslange Freiheitsstrafe würde auch einiges an Schärfe aus der Diskussion für und gegen das Wiedereinführen der Todesstrafe nehmen, gegen das ich zumindest aus den von "AlexRE" genannten Gründen ebenfalls bin.

Man sollte sich aber nicht auf solche Maßnahmen beschränken. Bei Gewaltverbrechen sollte z. B. auch die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung generell ausgeschlossen sein, solang das Opfer noch körperlich unter den Folgen der Tat leidet, im Fall seelischer Leiden solang diese so schwer sind, dass sie fachlicher Behandlung bedürfen.
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Re: Artikel 102 GG / Todesstrafe

Beitragvon AlexRE » Sa 9. Nov 2013, 21:15

Dardonthinis hat geschrieben:Die "echte" lebenslange Freiheitsstrafe würde auch einiges an Schärfe aus der Diskussion für und gegen das Wiedereinführen der Todesstrafe nehmen, gegen das ich zumindest aus den von "AlexRE" genannten Gründen ebenfalls bin.


Nö, die Absage an die echte lebenslängliche Freiheitsstrafe hat das BVerfG aus Art. 1 GG heraus begründet und damit die Parlamentarier (und die Wähler) komplett abgemeldet:

Artikel 79

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.


http://dejure.org/gesetze/GG/79.html

Diese Menschenrechtverletzung hat das BVerfG übrigens erst 28 Jahre nach Inkrafttreten des GG anhand dieses Falles eines mörderischen Polizeibeamten bemerkt:

http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv045187.html

Man sollte sich aber nicht auf solche Maßnahmen beschränken. Bei Gewaltverbrechen sollte z. B. auch die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung generell ausgeschlossen sein, solang das Opfer noch körperlich unter den Folgen der Tat leidet, im Fall seelischer Leiden solang diese so schwer sind, dass sie fachlicher Behandlung bedürfen.


Wenn richterliche Ermessensspielräume regelmäßig missbraucht und nur noch ausnahmsweise im Sinne des Gesetzgebers genutzt werden, muss man sie an den entsprechenden neuralgischen Punkten - also bei der Verteidigung der Rechtsordnung gegen Gewaltkriminelle - entsprechend reduzieren.

Das (u. a.) haben wir auf diesem Forum auf etlichen threads besprochen:

viewforum.php?f=7
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