Bundesgerichtshof erlaubt passive Sterbehilfe

Hier können Beiträge zu dem gesamten Themenkomplex von der Finanzierung des Gesundheitswesens bis zu speziellen Gesundheitsrisiken geschrieben werden.

Re: Bundesgerichtshof erlaubt passive Sterbehilfe

Beitragvon maxikatze » Do 18. Aug 2011, 11:45

Klingt zynisch, aber wer eine schwere Krankheit hat, ohne Aussicht auf Besserung, dem müsste nicht verwehrt bleiben, freiwillig aus dem Leben zu treten. Das muss auch mit Hilfe eines Arztes möglich sein.
Andere haben nicht das Recht, von sich aus Apparate abzuschalten, wenn der Patient nicht mehr in der Lage ist, irgend etwas zu entscheiden. Auch nicht die Angehörigen.
Mich stört der Satz in der Begründung:
...Der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen sei daher straffrei, wenn sich Ärzte und Betreuer einig seien. Bei Uneinigkeit müsse ein Gericht entscheiden.
"Die größte Errungenschaft unserer freiheitlichen Kultur ist die Überwindung von Denkverboten." (Vince Ebert)
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Re: Bundesgerichtshof erlaubt passive Sterbehilfe

Beitragvon AlexRE » Do 18. Aug 2011, 14:20

Staber hat geschrieben:Wer das Urteil des BGHs feiert, sollte daran denken, was vor 70 Jahren geschehen ist. Auch heute läuft schon wieder die Propaganda gegen Alte, Kranke und Behinderte, weil sie zu teuer sind. Wird der Damm einmal gebrochen, gibt es kein Halten mehr.


Gruß Staber


Ich halte die Missbrauchsgefahr auch für hoch. Die Methode, durch abolute Verbote absolute Grenzen zu ziehen, halte ich aber hier nicht für praktikabel, weil ein absoluter staatlicher Machtanspruch dahingehend, unheilbar kranken und schwerst leidenden Menschen eine maximale Lebensverlängerung aufzuzwingen, nach meiner Auffassung seinerseits eine schwere Menschenrechtsverletzung ist.

Wenn ich mich entscheide, auf das letzte Promille meiner Lebenserwartung zu verzichten, um so 90 % aller Leiden während meiner gesamten Lebenszeit zu entgehen, dann beruht das meiner festen Überzeugung nach auf einer höchst rationalen Einstellung, weil sie auf die Optimierung der Gesamtlebensqualität abzielt. Da hat sich beim besten Willen kein außenstehender Dritter und ganz sicher kein Staat einzumischen.

Es bleibt also nichts übrig, als dem möglichen Missbrauch durch detaillierte Vorschriften zur Sterbehilfe vorzubeugen. In jedem einzelnen Fall müssten zuvor nicht in die Behandlung bzw. Krankengeschichte involvierte medizinische Gutachter einbezogen werden und ein Vormundschaftsgericht die Eigenverantwortlicheit der Entscheidung des Patienten bestätigen.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Bundesgerichtshof erlaubt passive Sterbehilfe

Beitragvon Livia » Do 18. Aug 2011, 15:17

Freitodbegleitung

Im Fall von ärztlich diagnostizierten hoffnungslosen oder unheilbaren Krankheiten, unerträglichen Schmerzen oder unzumutbaren Behinderungen bietet DIGNITAS seinen Mitgliedern die Möglichkeit eines begleiteten Freitods an.

Wie hier erwähnt, betrifft das Menschen die noch selber entscheiden können und die Medikamente im Beisein eines Arztes einnehmen. Etwas anderes ist nicht erlaubt. Bevor so ein Freitod überhaupt vorgenommen wird, werden viele Abklärungen durchgeführt, mit denen der Betroffene sich einverstanden erkklärt und das wird von einem Anwalt bestätigt.
Viele Leute würden bereitwillig zugeben, dass sie sich langweilen; aber kaum einer würde zugeben, dass er langweilig ist.

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Re: Bundesgerichtshof erlaubt passive Sterbehilfe

Beitragvon Staber » Do 18. Aug 2011, 15:52

Livia hat geschrieben:Freitodbegleitung

Im Fall von ärztlich diagnostizierten hoffnungslosen oder unheilbaren Krankheiten, unerträglichen Schmerzen oder unzumutbaren Behinderungen bietet DIGNITAS seinen Mitgliedern die Möglichkeit eines begleiteten Freitods an.

Wie hier erwähnt, betrifft das Menschen die noch selber entscheiden können und die Medikamente im Beisein eines Arztes einnehmen. Etwas anderes ist nicht erlaubt. Bevor so ein Freitod überhaupt vorgenommen wird, werden viele Abklärungen durchgeführt, mit denen der Betroffene sich einverstanden erkklärt und das wird von einem Anwalt bestätigt.



Mag ja alles richtig sein was du postest, aber schau dir mal den Link an. ;)

gruß staber

http://www.dnews.de/nachrichten/panoram ... unden.html
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Gesund bleiben !
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Re: Bundesgerichtshof erlaubt passive Sterbehilfe

Beitragvon Livia » Do 18. Aug 2011, 15:58

Staber hat geschrieben:
Livia hat geschrieben:Freitodbegleitung

Im Fall von ärztlich diagnostizierten hoffnungslosen oder unheilbaren Krankheiten, unerträglichen Schmerzen oder unzumutbaren Behinderungen bietet DIGNITAS seinen Mitgliedern die Möglichkeit eines begleiteten Freitods an.

Wie hier erwähnt, betrifft das Menschen die noch selber entscheiden können und die Medikamente im Beisein eines Arztes einnehmen. Etwas anderes ist nicht erlaubt. Bevor so ein Freitod überhaupt vorgenommen wird, werden viele Abklärungen durchgeführt, mit denen der Betroffene sich einverstanden erkklärt und das wird von einem Anwalt bestätigt.



Mag ja alles richtig sein was du postest, aber schau dir mal den Link an. ;)

gruß staber

http://www.dnews.de/nachrichten/panoram ... unden.html



Ja das habe ich damals auch gelesen und fand das eine Schweinerei. Weil das oft ausländische Personen betraf die keine Angehörigen hatten, hat man sie damals auf diese unrühmliche Art entsorgt. :x
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Re: Bundesgerichtshof erlaubt passive Sterbehilfe

Beitragvon maxikatze » Fr 19. Aug 2011, 08:20

Bei diesem Thema muss ich an einen zurückliegenden Fall aus Amerika denken.
Es wurde bei der Koma-Patientin Terri Schiavo, die schwer hirngeschädigt war, per Gerichtsbeschluss die Magensonde entfernt. Das Verfahren hatte ihr Ehemann angestrebt, mit der Begründung, dass seine Frau keine lebensverlängernden Massnahmen will. Ob er beweisen konnte, dass sie für sich nichts anderes wollte, kann ich nicht sagen. Für mich stellt sich nur die Frage, wann sie das geäussert hat? Wohl kaum während ihrer schweren Krankheit.

Mit der Magensonde hielt man die Patientin mehrere Jahre am Leben. Sie überlebte nach Entfernung der Magensonde noch fast zwei Wochen.
Für mich ein unfassbarer Vorgang die Frau verhungern und verdursten zu lassen - und das über einen längeren Zeitraum, bis der Tod eintritt.
Es wäre allein deshalb nicht akzeptabel, andere für mich entscheiden zu lassen. Wer im Koma liegt, braucht besondere Hinwendung und erst recht keinen Todeskampf der vierzehn Tage anhält.

http://www.handelsblatt.com/panorama/au ... 89302.html



Übrigens hat der Ehemann zehn Monate später seine langjährige Freundin, mit der er zu diesem Zeitpunkt bereits zwei gemeinsame Kinder hat, geheiratet.
http://www.rp-online.de/panorama/auslan ... 72740.html
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Re: Bundesgerichtshof erlaubt passive Sterbehilfe

Beitragvon AlexRE » Fr 19. Aug 2011, 11:31

maxikatze hat geschrieben:Übrigens hat der Ehemann zehn Monate später seine langjährige Freundin, mit der er zu diesem Zeitpunkt bereits zwei gemeinsame Kinder hat, geheiratet.
http://www.rp-online.de/panorama/auslan ... 72740.html


Dignitas hat finanzielle Interessen, Familienangehörige werden durch die Schwerkranken in ihrer eigenen Lebensplanung behindert ...

Ich kann mich an ein Fernsehinterview mit einer niederländischen Ärztin erinnern (dort gibt es auch sehr freizügige Vorschriften zur Sterbehilfe), die von Angehörigen berichtete, die den Todeszeitpunkt ihres Großvaters unbedingt mit ihrer Urlaubsplanung abstimmen wollten.

Da hilft alles nichts, wenn der Kranke nicht mehr bei klarem Verstand ist, muss mit großem Aufwand Missbräuchen vorgebeugt werden. Das absolute Minimum ist eine Überprüfung durch außenstehende Mediziner, die mit dem Fall noch nichts zu tun hatten (und die beruflich absolut nichts mit Transplantationen zu tun haben) und grünes Licht von einem Vormundschaftsgericht.
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Re: Bundesgerichtshof erlaubt passive Sterbehilfe

Beitragvon maxikatze » Fr 19. Aug 2011, 11:59

Da hilft alles nichts, wenn der Kranke nicht mehr bei klarem Verstand ist, muss mit großem Aufwand Missbräuchen vorgebeugt werden.


Das ist der Punkt, mit dem ich mich nicht anfreunden kann.
Ist der der Patient für unbestimmte Zeit nicht ansprechbar, sollte ihm mMn alle Hilfe zuteil werden. Einen Freibrief für das Sterbenlassen bei Komapatienten darf es nicht geben.
Wie im oben geschilderten Fall, hat auch die unabhängige Justiz dem Antrag des Ehemannes entsprochen.
Das Resultat der gerichtlichen Auseinandersetzung muss nicht zwangsläufig mit dem Willen der Patientin übereingestimmt haben.
Darum sage ich: Es hat kein anderer hat über Leben und Tod zu bestimmen. Das kann und sollte man nur selbst tun.
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Re: Bundesgerichtshof erlaubt passive Sterbehilfe

Beitragvon Livia » Fr 19. Aug 2011, 15:32

Ich bin auch der Meinung, dass man nicht ansprechbare Menschen mit Sterbehilfe (aus dem Weg räumt). Der Fall in Amerika hatte damals grosses Aufsehen erwirkt, die Eltern wollten nicht das die Apparate ausgeschaltet wurden, der Ehemann schon, weil wie schon erwähnt, er wieder heiraten wollte.

Das Gericht hat verfügt dass die Apparate ausgeschaltet wurden ohne weitere Hilfe, damit niemand des Mordes angeklagt werden konnte. Das finde ich schrecklich und ich möchte nie in so eine Situation geraten, oder gar für andere entscheiden müssen.

Dass die Dignitas auch im eigenen Interesse arbeitet, kann ich mir denken, für sie ist das ein Geschäft das Geld in die Kassen bringt. Trotzdem bin ich der Meinung, dass Menschen die immer noch selber bestimmen können und schwer krank sind, sich die Hilfe von Aerzten in Anspruch nehmen dürfen.
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Re: Bundesgerichtshof erlaubt passive Sterbehilfe

Beitragvon AlexRE » Fr 6. Nov 2015, 12:17

Der Bundestag stimmt jetzt gerade über die Sterbehilfe ab:

http://www.focus.de/politik/deutschland ... 67455.html

Aus einem Interview mit einem Gegner:

Sterbehilfe: 5 Fragen an Christian Hillgruber

"Das Recht muss das Leben unter allen Umständen schützen"

Am Freitag stimmt der Bundestag über vier Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe ab. Christian Hillgruber würde für ein Verbot der Beihilfe zum Suizid stimmen. Gegen die Selbsteinschätzung des Lebensmüden, um der Menschenwürde willen.

(...)

LTO: Worauf stützen Sie Ihre Auffassung juristisch?

Hillgruber: Ich stütze mich in meiner juristischen Argumentation in erster Linie auf die Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz, GG), ergänzend auf das Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG).

Die staatliche Schutzpflicht für das menschliche Leben kommt allerdings nur zum Tragen, wenn der Suizident nicht freiwillig aus den Leben scheiden will. An die Freiwilligkeit sind allerdings wegen der Irreversibilität des Suizids besonders strenge Anforderungen zu stellen, die nur äußerst selten erfüllt sein dürften.

(...)


http://www.lto.de/recht/hintergruende/h ... enf-fragen

>> Hillgruber: Ich stütze mich in meiner juristischen Argumentation in erster Linie auf die Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz, GG), ergänzend auf das Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). <<

Das muss man erstmal bringen, die Lebensverlängerung gegen den Willen von in einem quälenden Sterbensprozess befindlichen Menschen mit Art. 1 GG zu begründen. Ob jemand auf das letzte Promille seiner Lebensspanne verzichten darf, um 90 % der Schmerzen und Qualen seines ganzen Lebens vermeiden zu können, sollen ihm völlig fremde Menschen des Medizinbetriebes und der Justiz entscheiden.

Wenn man die Kernpostulate des Grundgesetzes so in ihr Gegenteil verkehren könnte, müssten Verfassungsfeinde sich nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, wie sie nach ihrer Machtergreifung das GG loswerden.

Was man da herausliest, wäre dann ja eine reine Machtfrage.
Der Stuttgarter OB Rommel:

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